Expertenrunde

Modul-Dialog

Spezialisten der Branche trafen sich zu einer Gesprächsrunde, um über das Thema Nachhaltigkeitsmodul Milch und seine Bedeutung für die Branche zu diskutieren.

Beginnen wir ganz grundlegend: Warum braucht es ein Nachhaltigkeitsmodul? 

Uwe Radke Wir haben als Uelzena eG sehr viel mit internationalen Markenkunden zu tun und fast alle haben vor Jahren angefangen, das Thema Nachhaltigkeit in ihre Strategien aufzunehmen. Dabei gehen sie in der Lieferkette weiter und betrachten auch den Beschaffungsbereich. Und hier kommunizieren unsere Kunden aus der Süßwaren-, Backwaren-, Feinkost- und Heißgetränkeindustrie, dass sie sich auch um das Thema nachhaltige Milch kümmern wollen. 

Das hört sich nicht nach großem Druck an.

Radke Druck im Sinne einer spezifischen Vorschrift ist es noch nicht. Aber es ist am Horizont. Wir haben bereits einen europäischen Kunden, der seine eigenen Vorstellungen entwickelt hat und sagt, was man zu tun hat. Aber alle Kunden haben ein sehr nachhaltiges Interesse, dass über Milcherzeugung und Produktion Aussagen getroffen werden können. Das ist für uns eine der Motivationen, an diesem Nachhaltigkeitsmodul als eine der ersten Molkereien teilzunehmen.

Hiltrud Nieberg Endkunden und Bürger haben zwar nach wie vor ein positives Bild von der Milch, betrachten die Milchproduktion jedoch zunehmend kritischer. Umweltthemen und Tierwohl werden öffentlich stark diskutiert. In der Ernährungswirtschaft ist Nachhaltigkeit schon lange ein Thema, und international agierende Unternehmen haben schon vor einigen Jahren Prinzipien einer nachhaltigen Milcherzeugung erarbeitet. Heute kommt man nicht mehr darum herum, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Es ist wichtig, nicht der Getriebene zu sein, sondern das Thema aktiv aufzugreifen. 

Milcherzeuger sind heute natürlich auch dabei. Würden Sie am liebsten warten, bis das jemand verbindlich vorschreibt? 

Carsten Dahmke Nein. Bei uns ist von einem Abnehmer schon ein Audit gemacht worden, das auf Nachhaltigkeit basiert. Im Endeffekt ist das Modul nur eine weitere Datenaufnahme. Die Landwirte wirtschaften seit Jahrzehnten nachhaltig. Es sind sicherlich Verbesserungsmöglichkeiten bei dem einen oder anderen vorhanden. Wir haben bereits die GVO-freie Milch, wir haben QM, andere Bundesländer haben wieder etwas anderes. Die eine oder andere Sache überschneidet sich dabei. Im Endeffekt wollen wir nachhaltig wirtschaften und nicht Papiere ausfüllen.  

Nieberg Ich glaube, immer zu warten und zu hoffen, dass der Kelch an einem vorübergeht, war ein Fehler über Jahre. Das Thema hätte schon früher angegangen werden können.   

Sollte also die Politik einfach die Linien für alle vorgeben, sodass sich die Landwirte nur ein einziges Mal darauf einstellen müssen?

Michaela Dämmrich Die Politik könnte entsprechende Vorschriften etwa für den Tierschutz machen. Die Proteste wären allerdings groß, denn es gibt unterschiedliche Interessen. Zum einen die ökonomischen Interessen des Tierhalters, der als Anfangsglied in der Kette der Erzeugung steht und von seinem Betrieb gut leben möchte. Zum anderen die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Produkte nur kaufen möchten, wenn die Tiere artgerecht gehalten wurden, was die Produkte aber teurer macht. Damit es den Tieren langfristig gut geht, muss es auch den Tierhaltern gut gehen. Deswegen sollte versucht werden, mit den Landwirten zusammen einen nachhaltigen Weg zu finden.

Gehen wir in die Details. Dem Modul liegt ein Fragebogen zugrunde, der verschiedene Kriterien aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie, Tierwohl und Soziales umfasst. 

Nieberg Ja, ausführliche 18 Seiten lang. In der Entwicklung dieses Fragebogens mit den Landwirten war die Länge immer eine Debatte. Klar, Fragen beantworten und Listen ausfüllen macht keinen Spaß, gehört aber heute zu den Unternehmensaufgaben. Kunden wollen umfänglich wissen, wie was hergestellt wird. Transparenz schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Je breiter der Kriterienkatalog und damit der Fragebogen, desto praxisgerechter und treffgenauer können die unterschiedlichen Stärken und Schwächen in der Milcherzeugung abgebildet werden. Deshalb dieser breite Ansatz. Es war uns sehr wichtig, dass das Modul nicht im Elfenbeinturm entwickelt wird, sondern Hand in Hand mit der Praxis. Landwirte waren immer direkt involviert. Die Befragung ist der Startpunkt für einen molkereiinternen Dialog über die zukünftige Entwicklung.

Frank Pieper Als ich mir den Fragebogen zum ersten Mal durchgelesen habe, war ich doch ein wenig erschlagen. Bei uns im Betrieb wäre das kein Problem. Aber wenn die eigene Dokumentation nicht in Ordnung ist, dann kann die Bearbeitung länger dauern, und dann wird Unmut laut. Eigentlich ist es alles tägliches Brot. Aber da muss man vielleicht auch Berater mit ins Boot nehmen, die dabei helfen. Außerdem wären Schulungen hilfreich. 

Wie aufwendig ist es denn, den Fragebogen auszufüllen?

Dahmke Bei mir waren es zweieinhalb Stunden oder auch einen Tick mehr, schätze ich. Wir haben ein paar Punkte, die werden mit Ja oder Nein beantwortet. Dann gibt es aufwendigere Fragen, etwa zu Details der Landschaftselemente. Das hat bei mir die meiste Zeit in Anspruch genommen. Aber das ist natürlich bei jedem Betrieb unterschiedlich.

Und wie oft müssen oder sollen Milcherzeuger die Fragen beantworten?

Nieberg Das entscheiden die beteiligten Molkereien für sich. Einige wählen alle drei Jahre, angelehnt an den QM-Rhythmus, andere häufiger. Dieser Frage werden wir in der Pilotphase nachgehen. Ein wenig hängt es wohl auch davon ab, wie häufig der Handel eine Dokumentation haben möchte. 

Radke Da die Pilotphase drei Jahre läuft, würden wir als Molkerei gerne wenigstens zwei Befragungen machen. Die brauchen wir, damit wir auch Differenzen und Entwicklungen sehen. Ob wir dann zu einer jährlichen oder zu einer zweijährlichen oder dreijährlichen Befragung kommen, wird sich zeigen.

Sie sagten, auch bei Ihren geordneten Daten war es nicht ganz unaufwendig. Ist es zu viel Arbeit, auch mit Blick auf Skeptiker?

Dahmke Grundsätzlich halte ich dieses Nachhaltigkeitsprogramm für wirklich gut, weil es umfassend ist. Schön wäre es aber, wenn wir nicht zu viele andere Sachen hätten, dieses Modul übergreifend für mehrere Länder gilt und der Handel es akzeptiert. 

Radke Das ist gerade das Ziel, das wir in diesem Dialogprozess mit verschiedenen Akteuren versuchen wollen zu erreichen. Sonst kommen die einzelnen Kunden jeweils mit ihren eigenen Fragenkatalogen, und wir fangen an, ganz verschiedene Datenpools aufzubauen. Jede Molkerei hat hunderte von selbstständigen Landwirten. Wenn wir da viele verschiedene Kriterien-Sets anlegen sollen, können wir das nicht mehr handhaben. 

Gibt es denn so etwas wie ein Gesamturteil im Modul?

Nieberg Nein, wir vergeben keine Gesamtpunktzahl. Es findet keine Einteilung der Betriebe in „nachhaltig“ und „nicht nachhaltig“ statt. Wir schauen uns jedes einzelne Kriterium an. Bei der Bewertung arbeiten wir mit einer Vierer-Skala: ungünstig, ausreichend, gut und besonders gut. Für jeden Indikator wird auf Molkereiebene ermittelt, wie viel Prozent der Landwirte in den jeweiligen Bewertungsbereichen wirtschaften. Geplant ist zudem ein Benchmarking, bei dem dem Landwirt seine Werte danebengelegt werden. So kann er sehen, wie er im Vergleich zu allen anderen steht. 

Reagieren Landwirte nicht im ersten Moment eher abwehrend?

Pieper Wir würden lügen, wenn wir das verneinen würden. Das ist vollkommen klar. Die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig, der schon immer an alle diese Dinge gedacht hat. Er kann nur mit Nachhaltigkeit produzieren, dann kommt er auch über die Runden. Wir müssen uns aber diesen neuen Anforderungen auch stellen. Herr Dahmke und ich als Uelzena-Organmitglieder versuchen natürlich, das auch unseren Kollegen zu erklären. Es wird politisch und gesellschaftlich immer schwieriger, aber ich glaube, der Schlüssel liegt darin, Vertrauenspersonen zu finden, die das rüberbringen.

Nieberg Wichtig ist die Botschaft: Nachhaltigkeit ist ein Kompass, der die Richtung für wünschenswerte Entwicklungen weist. Die zweite Botschaft: Keiner ist perfekt. Jeder hat Stärken und Schwächen. Die Schwächen gilt es zu erkennen und dann schrittweise zu verbessern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es Veränderungen gibt, die mit erheblichen Investitionen verbunden sind und nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können.

Dahmke Solange ich das bei uns im Betrieb verfolgen kann, ging es uns immer darum, dass es der einzelnen Kuh gut geht. Trotzdem haben wir von Jahr zu Jahr eine Steigerung in der Milchleistung gehabt. Sie fällt und steigt immer ein wenig, aber es ging wirklich über 20 Jahre kontinuierlich nach oben. Die Lebensdauer der Kühe ging nach oben. Das ist auch wirtschaftlich ganz entscheidend. 

Dämmrich Ich bin sehr dafür, bei den Zuchtzielen nicht immer mehr auf Leistung zu gehen, sondern auf Gesundheit. Im Nachhaltigkeitsmodul wird auch nach Lebenstageleistung gefragt. Dabei muss die Kuh mit ihrer Milchleistung zum Betrieb und zum Management passen. Eine Kuh mit negativer Energiebilanz kann nicht gesund bleiben und sich wohl fühlen. 

Was würden Sie sich dabei genau wünschen?

Dämmrich Ich würde mir wünschen, dass die Milchleistung in dem Nachhaltigkeitsbogen nicht nur ein ökonomischer Faktor, sondern auch ein Tierschutzfaktor ist. Zur negativen Energiebilanz gibt es genügend wissenschaftliche Arbeiten. Ich fände es daher wichtig, dass bei der Tierbewertung der Body Conditioning Score aufgenommen wird.

Wo liegt der größte Nutzen und wann lohnt es sich, die Zeit für die Datenerhebung zu investieren und am Modul teilzunehmen? 

Dahmke In der Vermarktung. Wir haben Kunden, von denen wir einen Mehrverdienst haben gegenüber Drittländern oder dem Weltmarkt. Diese Kunden haben sicherlich gewisse Anforderungen, aber es muss doch unser Anreiz sein, unser Produkt so gut zu vermarkten, dass Kunden einen Mehrpreis bezahlen.

Nieberg Einen solchen Fragebogen füllt man natürlich umso motivierter aus, je größer der Nutzen ist. Dieser zeigt sich allerdings häufig erst indirekt. Das Nachhaltigkeitsmodul ist nämlich zu allererst notwendig, um auf dem Markt überhaupt handlungsfähig zu bleiben. Auch wenn einige Landwirte mehr als zwei bis drei Stunden für das Ausfüllen des Fragebogens brauchen und nicht sofort ein Mehrwert in Sicht ist, so zahlt sich die Teilnahme langfristig aus. Denn Nachhaltigkeit wird immer deutlicher zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor.  

Pieper Wir hatten 2006 unsere erste große Investition in Tierwohl, haben dabei den großen Stall gebaut und alle Möglichkeiten genutzt, die es damals gab. Ergebnis: Mit dem gleichen Futter, mit demselben Personal gehen die Leistungen nach oben.

Wenn die Wünsche von Industrie und Handel erfüllt werden, können Sie dann auch höhere Preise für Ihre Produkte erzielen?

Radke Nicht direkt und nicht automatisch. Aber das ist genau wie mit der Produktqualität. Wir haben Kunden mit hohen Anforderungen, die andere Lieferanten nicht schaffen. Wenn wir auch bei der Nachhaltigkeit so gut sind, dann glaube ich daran, dass wir mit den Kunden stärker ins Geschäft kommen als der Mitbewerb und damit auch einen gewissen Mehrpreis erzielen können. Das werden wir erarbeiten müssen. Die Erfahrungen auf der Qualitätsseite auch mit Zertifizierungen zeigen, dass es auf der Abnehmerseite immer Kunden gibt, die genau dies wünschen und dann auch bereit sind, dafür zu bezahlen.

Welche Rolle spielen in dem Projekt die Anonymität der Milchbetriebe und der Datenschutz? 

Radke In der Vertrauensbildung halte ich das für sehr wichtig. Wir wollen schließlich einerseits die Daten so erfassen, dass wir den landwirtschaftlichen Betrieben etwas zurückspielen können. Auf der anderen Seite müssen wir sicherstellen, dass in der Außendarstellung eben nicht auf einzelne Betriebe rückgeschlossen werden kann. 

Nieberg Das können wir gewährleisten. Dazu haben wir detaillierte Regeln festgelegt. Der Datenschutz um das Modul ist sehr aufwendig.  

Was passiert am Ende der dreijährigen Pilotphase?

Nieberg Innerhalb der drei Jahre werden wir nicht nur die Daten der verschiedenen Molkereien auswerten, sondern auch die internationalen Entwicklungen in diesem Themenfeld weiter beobachten und die Praktikabilität sowie Akzeptanz des Nachhaltigkeitsmoduls prüfen. Wir erwarten daraus konkrete Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung des Moduls.

Das Modul soll sich also weiterentwickeln. Worauf ist dabei aus Ihrer Sicht zu achten?

Pieper Für mich ist es ganz wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten. Es muss auf jeden Fall eine Prämisse sein, alle mitzunehmen. Das halte ich für ganz entscheidend. Aber es muss auch versucht werden, dass uns anderer Ballast ein wenig abgenommen wird. 

Dahmke Schön wäre es, wenn wir aus den Daten vielleicht irgendwann eine Art Verbraucherinformation herausbekommen können. Wir haben viele Besuchergruppen auf unserem Hof, die das interessieren würde. 

Nieberg Ich finde es sehr wichtig, dass die Landwirte sich auch in Zukunft aktiv in die Weiterentwicklung des Moduls einbringen. Ich freue mich über eine konstruktive Debatte, welche die wissenschaftlichen Anforderungen einerseits und die Praktikabilität für die Milcherzeuger und Molkereien andererseits berücksichtigt.

Dämmrich Für mich ist wichtig, dass dieses Modul dazu beiträgt, das Tierwohl entscheidend zu verbessern. Die Milch kommt von der Kuh, sie ist die Hauptakteurin bei der Sache.

Radke Der Dialog in den nächsten drei Jahren ist in der Tat sehr wichtig. Darüber hinaus werden wir uns damit auseinandersetzen müssen, diese Brancheninitiative zu einem bundesweiten Tool werden zu lassen. Ich glaube, dass wir damit dann auch im internationalen Kontext erst einmal einen Vorsprung haben werden, der uns nützen wird. 

Vielen Dank an Sie alle für das sehr spannende Gespräch.

 

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